Frühstück vom Zugbegleiter serviert

An einem kühlen Morgen im Frühjahr 2018 war ich auf der Linie IC3 zwischen Chur und Zürich als Zugchef unterwegs. Eine halbe Stunde vor der Abfahrt meines Zuges in Chur  fiel der ICE nach Hamburg ersatzlos aus, da dieser eine technische Störung zu beklagen hatte. Die Reisenden aus diesem Zug mussten also auf meinen Zug ausweichen, was zu einem erhöhten Kundenaufkommen in meinem Zug führte.

Im hintersten 1. Klasse-Wagen machte es sich ein älteres Ehepaar aus Deutschland gemütlich. Die beiden stammten ebenfalls aus dem ausgefallenen ICE und waren sichtlich erschöpft vom mühsamen Hin und Her auf dem Perron.

„Wir kommen aus den Ferien in Arosa. Wir wollten eigentlich im ICE gemütlich Frühstücken, was nun aber nicht möglich war“, erzählten sie mir. Die beiden hatten den ganzen Tag lang noch nichts gegessen. „Unser Bistro ist geöffnet. Da dürfen sie sich gerne etwas holen“, empfahl ich ihnen.

Bald wurde mir bewusst, dass dies wohl schwierig werden würde. Die beiden waren nicht gut zu Fuss, erst recht nicht nach den Anstrengungen am Bahnhof Chur. Den Weg durch drei Wagen und zweimaliges Treppensteigen konnte ich ihnen nicht zumuten. Ich machte mich deshalb selber auf in den Speisewagen, um einen Elvetino-Mitarbeiter aufzusuchen.

Im Bistro angekommen, befand sich da eine lange Schlange vor dem Tresen. Einige Passagiere aus dem ICE hatten wohl die gleiche Idee wie meine zwei Senioren. Die Elvetino-Mitarbeiterin vorbeizuschicken war also ein Ding der Unmöglichkeit, zumal sie den Betrieb alleine aufrecht erhalten musste.

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als selber den Servierboy zu spielen. Ich schnappte mir zwei Menükarten und machte mich auf den Weg zurück. Leider waren zu allem Übel auch noch die Gipfeli ausgegangen, was die Senioren alles andere als freute. Sie bestellten schliesslich zwei Kaffee und zwei Käseplatten mit Brot und „eine Extraportion Butter“.

Zurück im Restaurant bereitete ich zusammen mit der Elvetino-Mitarbeiterin das Frühstück vor und bezahlte das ganze aus meiner Kasse. Mit zwei Kaffee und zwei Käseplatten machte ich mich auf den Weg zurück. Zugegeben: Ich sah den Kaffee bereits auf dem weissen Hemd eines Kunden. Ich wäre wohl sogar als Zirkusclown talentierter, als aus Servicemann.

Glücklicherweise behaupteten sich meine Hellseher-Künste nicht und das Frühstück landete heil auf dem Tisch der beiden Senioren. Sie bedankten sich herzlich und bezahlten ihr Frühstück mit den zuvor erhaltenen Sorry-Gutscheinen.

Service am Platz gehört definitiv nicht zu den Aufgaben eines Zugbegleiters. Mit solchen Gesten können wir aber unsere Kundschaft verblüffen und zeigen, dass unser Beruf kein Auslaufmodell ist. Schliesslich sind wir die Gastgeber auf dem Zug und unterwegs für unsere Kunden da.

 

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